Momentaufnahme
Fahrradausflug "en famille".
Vier Menschen mit Hund, an diesem nach Sommer riechenden Sonntag. Eine Idylle, reif fürs Fotoalbum. Übertrockene Wege. Zu Hause Guglhupf und gebügelte Hemden.
Vorneweg, fortstrebend, der Vater mit dem Jüngsten, in der Mitte die Erstgeborene. Als Schlusslicht, im unbequemen Rock, die Mutter, die fast flügge Tochter nicht mehr einholend.
Momentaufnahme.
Jokaste. Sie ist schon allein und ahnt es wohl auch. Macht gute Miene zu bösem Spiel. Und ihr Sohn, der letzte Versuch? Auch er hat ihren Bannkreis durchbrochen, ist im Aufbruch, kein Ersatz mehr für den längst fernen Mann.
Doch da ist die Tochter, bereit und begierig, das Spiel zu wiederholen. Endlich Objekt des Begehrens werden, nach Jahren des Wartens. Erhält sie von Jokaste letzte Ratschläge? Von ihr, die stets die Leere zu füllen versuchte und der es nur für Augenblicke gelang? Was treibt sie, Rezepte weiterzugeben, die lediglich Guglhupf und gebügelte Hemden garantieren?
Fülle, statt Erfüllung, das hat sie bekommen. Wird sie zufrieden sein, sie am Körper der anderen bald auch zu entdecken? Dieser Körper, der die Tochter jetzt hoffen läßt, guter Hoffnung sein wird, erfüllt, dann nur noch ge-füllt.
Übertrockene Wege. Eine Idylle, reif fürs Fotoalbum. Vier Menschen mit Hund, an diesem nach Sommer riechenden Sonntag.
Fahrradausflug "en famille".
Momentaufnahme.
Stop!
Februar 1988
copyright by Renate Schallehn