Festgefahren

Es war Fönwetter an diesem Nachmittag, und er fuhr auf der Landstraße von X nach Y.

Unwillkürlich bremste er, nein, wurde er gebremst, und, um eine Erklärung dafür zu finden, hielt er an. Sogar den Motor stellte er ab, verwundert über sich selbst und bemüht, diesen Eindruck in den Augenwinkeln zu bewahren, der der Auslöser seines Verhaltens gewesen war und schemenhaft drohte, sich zu verflüchtigen. Die Musik aus dem Autoradio hämmerte ihn in kleine Teilchen. Ein Griff auf die Taste - aus.

Er hatte das sichere Gefühl, dass noch etwas störte und diesen Eindruck gleich vollends atomisieren würde, trotz der Bewegungslosigkeit und Stille. Seine Gedanken! Ameisenhaft, blitzschnell, gierig vertilgten sie, was er wahrzunehmen wünschte. Ein Wunsch? Staunen! Er atmete tief ein und aus. Saß da, in seinem konfortablen Auto, scheinbar grundlos, auf leerer Landstraße. Es hatte ihn schon lange nichts mehr in Erstaunen versetzt. Genussvoll staunte er, lächelte, spürte Wärme, fragte sich nach ihrer Quelle und staunte weiter.

Da war der Eindruck wieder. Ganz deutlich diesmal, so dass er meinte, die Windschutzscheibe vor ihm habe sich in den Bildschirm eines Fernsehgeräts verwandelt. Er hatte ES vorhin im Vorbeifahren gesehen, flüchtig, am Straßenrand, und hastig in die Mitte seines Gehirnknäuels gepackt. "Cool bleiben", nannte er das. Welche seiner inneren Kräfte hatte ES wohl dort entdeckt, aufgetaut und ihn zum Bremsen veranlasst?

Es war Fönwetter.

Er entschloss sich, ein ganzes Stück zurückzufahren und nicht das Bild, sondern die Wirklichkeit anzuschauen. Abermals hielt er an, stieg aus und näherte sich zögernd. Ein altes Auto im Straßengraben, ziemliche Schräglage, zerborstene Windschutzscheibe, menschenleer.

Totalschaden? Etwas jedenfalls konnte ihm, der es sich nun aufmerksam betrachtete, nicht entgehen: ES war festgefahren! Lange stand er da und staunte.

Als er wieder in sein Auto stieg, um nach Y zu fahren, war der Fön nicht mehr zu spüren.


Februar 1988
copyright by Renate Schallehn