Erfahrungsbericht
ERFAHRUNGSBERICHT ZUR BERUFSPRAKTISCHEN TÄTIGKEIT
(BERATUNG UND PSYCHOTHERAPIE)
Verfasst 1994, zeitgleich mit der Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung – nur Psychotherapie. 1999 erhielt ich die Approbation als Psychologische Psychotherapeutin
1. Umfang der Ausbildungen in Stunden:
GAP WIRTH MEG Fernuniversität
GESAMT |
Theorie
400 216 100 400
1116
|
Selbsterfahrung Einzellehranalyse
209 75
284 |
(Lehranalyse) Gruppenlehranalyse
60 94 82
236 |
Supervision
140 50 68
258 |
Auch nach Abschluss der Ausbildungen erhalte ich regelmäßig Supervision.
2. Eigene Veröffentlichungen
zur Individualpsychologie:
Die Beziehung Therapeut-Klient in der Individualpsychologischen Therapie nach A.Adler.
In: IP-Forum 2/91 (le journal de la Société Luxembourgeoise de Psychologie Adlérienne), S.16-23.
zur Klinischen Hypnosetherapie:
Bericht über Franziska, die Neurodermitis und den kleinen Drachen (Fallbericht).
In: Experimentelle und Klinische Hypnose. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Hypnose, Band VII, Heft 2/91, S.161-172.
3. Darstellung der Inhalte
3.1. Individualpsychologische Psychotherapie
Die Individualpsychologie (IP) nach Alfred Adler reiht sich ein in die klinisch bewährten psychoanalytischen Verfahren, zu denen die analytische Psychotherapie und die tiefenpsycho-logisch fundierte Psychotherapie zählt.
3.1.1. Indikationsfeld der IP-Psychotherapie sind neurotische Störungen (Symptomneurosen), Persönlichkeitsstörungen (Charakterneurosen), vegetativ-funktionelle und psychosomatische Störungen mit gesicherter psychischer Ätiologie. Sie können nach der Differentialdiagnose, je nach individueller Indikation, im Einzelgespräch, auch unter zeitweiser Einbeziehung des Partners oder in der Gruppe behandelt werden. Die Therapie kann kurzzeitig oder langzeitig erfolgen, manchmal ist auch die Überführung einer Kurzzeittherapie in eine Langzeittherapie sinnvoll.
Es werden in der IP keinen grundsätzlichen Unterschiede in der Psychodynamik bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angenommen, da alle psychischen Störungen als Beziehungsstörungen gedeutet werden. Sie stellen eine Fehlkompensation oder Kompromissbildung zwischen spezifischen Mangelerfahrungen und Tendenzen zur Rettung des Selbstwertgefühls in der Begegnung mit anderen Menschen dar. Das Kind entwickelt in Wechselbeziehung mit seinen Eltern und Geschwistern eine individuelle Grundhaltung zum Leben (Lebensstil). Zentral in der IP-Analyse ist die Aufdeckung der weitgehend unbewussten und unverstandenen "Fiktionen" und "Ziele", die den Lebensweg einengen und eine ganzheitliche Entfaltung des Individuums verhindern.
3.1.2. Therapieziele sind je nach Klientenvariablen (Motivation, Grad der Einsicht in die Psychogenese des Konflikts, Leidensdruck, Ausmaß des sekundären Krankheitsgewinns, Dauer des Leidens, psychischer und sozialer Flexibilität, emotionaler Erlebnisfähigkeit, Beziehungsfähigkeit usw.) Symptomminderung oder Strukturänderung der Persönlichkeit. Zu Beginn einer Behandlung werden die Ziele lediglich in großen Zügen festgelegt. Da (idealiter) eine grundsätzliche Neuorientierung angestrebt wird, die die Symptome überflüssig werden lässt, diese aber zu Beginn nicht konkretisiert werden kann, verzichtet man i.d.R. auf eine schrift-liche Festlegung.
3.1.3. Art und Umfang der Behandlung richtet sich nach der Art der Störung und den individuellen Voraussetzungen des Klienten.
1. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (ca 1x/Woche, 6 Monate bis 3 Jahre):
Hier wird die unbewusste Psychodynamik aktuell wirksamer, relativ bewusstseinsnaher neurotischer Konflikte behandelt, deren Bearbeitung Symptomverbesserung verspricht (Begrenzung des Behandlungsziels).
2. Analytische Psychotherapie (2-3x/Woche, 1-4 Jahre):
Es wird mit der neurotischen Symptomatik der neurotische Konfliktstoff und die zugrundeliegende neurotische Struktur behandelt (aufdeckend).
3.1.4. Die Methoden der Behandlung sind selbstverständlich in den verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich. Bei Kindern wird (je nach Altersstufe) analytische Spieltherapie (Szenomaterial, Zeichnungen) angeboten, oft im Zusammenhang mit begleitender Psychotherapie der Bezugsperson(en), einzeln oder in der Gruppe. Mit Kommentaren und Fragen zum angebotenen Material des Kindes wird versucht, eine Beziehung zur aktuellen Konfliktsituation herzustellen. Der Jugendliche im Übergang vom Kind zum Erwachsenen wird entsprechend seinem Alter und seiner Reife mehr als Kind oder mehr als Erwachsener behandelt. Beim Erwachsenen ist das wichtigste therapeutische Medium das Gespräch.
Die klassische Methode der IP ist die Analyse des Lebensstils, der im wesentlichen aus drei Quellen erschlossen werden kann: der Familienkonstellation, den frühkindlichen Erinnerungen und frühkindlichen Träumen und aus der therapeutischen Beziehung.
3.1.5. Therapieprozess: Die somatische Abklärung hinsichtlich möglicher organischer statt psychischer Ursachen oder möglicher organischer Mitbeteiligung oder psychiatrischer Erkran-kungen muss vor der Psychotherapie vom jeweils fachlich zuständigen Arzt getroffen werden.
Es gibt keine starre Grenze zwischen der diagnostischen Phase und dem Beginn der Therapie. Dennoch lässt sich der Therapieprozess grob in folgende Phasen unterteilen:
1. Aufbau einer tragfähigen Beziehung, in der sich der Therapeut Einblick in die individuellen Bewegungsgesetze des Klienten und dessen Versuche, seine Probleme durch ein neurotisches Sicherungssystem zu kompensieren, verschafft und sich bemüht, den Klienten zur Kooperation zu bewegen.
2. Erarbeitung des bisherigen Lebensstils mit dem Klienten, d.h. der Darstellung der subjektiven Biographie des Klienten, folgt die gemeinsame Erschließung der "objektiven" Lebensgeschichte, die eine Einsicht in die Funktion der Symptome vermitteln soll.
3. Ermutigung zur Umfinalisierung, Änderung bestimmter (jahrelang eintrainierter und festgefahrener) Lebensstilelemente, um neue Erlebens- und Verhaltensformen zu entdecken und einzuüben und die drei "Lebensaufgaben" (Beziehung zu anderen Menschen, zur Arbeit, zum anderen Geschlecht) besser zu bewältigen. Nach Adler ist der Klient geheilt, wenn er sich seinen Mitmenschen auf gleichwertiger und kooperativer Basis verbinden kann. Die Therapie ist somit ein Kooperationstraining, eine ständige Übung und Prüfung der Kooperation.
Wesentlich in allen Phasen ist die Förderung der Eigeninitiative des Klienten.
3.1.6. Erfolgskontrolle findet über Katamnesen statt.
3.2. Individualpsychologische Beratung
Psychotherapeutisch-orientierte Beratung ist sehr eng verwandt mit aufdeckender Psychotherapie und oft nur schwer von ihr zu trennen. Die Gesetzeslage beschränkt aber den Personenkreis derer, die befugt sind, Heilkunde oder Therapie anzubieten. Die berufsmäßige Ausübung individualpsychologischer Beratung unter obigen Titeln ist also nicht erlaubt. Um mögliche Kompetenzüberschreitungen zu vermeiden, ist es wichtig, zwischen "Heilung" und der Möglichkeit, "Hilfe zur Selbsthilfe" zu geben, zu differenzieren. Dies setzt allerdings voraus, dass Berater in der Lage sind, einzelpsychische und sozialpsychische Probleme und Konflikte auf ihnen zugrundeliegende Neurosen und Psychosen hin zu diagnostizieren!
3.2.1. Für die Indikation Beratung ist es erforderlich, dass der Ratsuchende in der Lage ist, sein eigenes Verhalten, seine Form der Beziehungsgestaltung und die aktuelle Konfliktsituation zum Gegenstand kritischer Reflexion zu machen und über entsprechende Bewältigungskompetenzen zu verfügen. Die Gefahr einer psychischen Dekompensation soll ausgeschlossen sein. Auslöser für die Inanspruchnahme von Beratung können sein: Desorientierung, inadäquate Belastung und Entlastung, Konflikte, akute Schwierigkeiten und Krisen.
3.2.2. Ziele von Beratung sind Entwicklung, Erziehung, Prävention, seelische Gesundheit (im Unterschied zur Heilung und tiefgreifenden Persönlichkeitsumgestaltung bei Therapien).
Um den Rahmen dieses Berichts nicht zu sprengen, verzichte ich auf eine Darstellung methodischer Verfahren, Strukturen, Prozesse, Beziehung Berater-Klient in der individualpsychologischen Beratung.
3.3. Klinische Hypnosetherapie (Klihyp)
Die Hypnotherapie (Synonym für Klinische Hypnose) ist eine der ältesten und umstrittensten psychotherapeutischen Methoden. Ihre strikte Ablehnung durch Freud hat mitverursacht, dass sie für lange Zeit aus der Liste ernstzunehmender Verfahren gestrichen wurde bzw. höchstens als "zudeckendes" Verfahren überlebte. Gegenwärtig erlebt die Hypnotherapie (ähnlich wie die IP) eine Renaissance, und zwar als eigenständiges, innovatives Verfahren (andererseits offen für andere Therapieformen, in die es sich in geeigneter Weise integriert), was z.T. dem amerikanischen (1980 verstorbenen) Psychiater Milton H. Erickson zu verdanken ist. Durch die mit Hilfe von Hypnose eingeleitete Trance wird die Aufmerksamkeit gebündelt und eine andere Art des Erlebens und der kognitiven Verarbeitung angesprochen, d.h. es wird eine komplexe Reihe innerer Reaktionen und Suchprozesse in Gang gesetzt, imaginative Prozesse werden gefördert und zur therapeutischen Heilung genutzt. Die Trance kann vom Klienten jederzeit unterbrochen werden, so dass er die Kontrolle behält. Auch in dieser neueren Form der Hypnotherapie wird mit Suggestionen gearbeitet, allerdings geht man nicht mehr davon aus, dass der Klient passiv und willenlos alles ausführt, was der Therapeut ihm suggeriert.
3.3.1. Indikation besteht u.a. bei Ängsten (Phobien, Panik-Attacken), Stressreaktionen (z.B. Prüfungsangst), Verhaltensproblemen (z.B. Rauchen, Essstörungen) und psychosomatischen Erkrankungen. Hier spricht die kurze effektive (und damit kostensparende) Vorgehensweise für Klihyp. Über Gefahren, Kontraindikationen und Grenzen der Hypnosetechniken - fachliche Kompetenz des Therapeuten vorausgesetzt - kann man nicht allgemeine Aussagen machen. Selbstverständlich sind sie vorhanden, allerdings sind es wohl eher jene, die jede therapeutische Beziehung begleiten. Als ein Beispiel seien Klienten genannt, aus deren Anamnese hervorgeht, daß sie eventuell mit Gewaltanwendung verbundenen Ereignissen machtlos ausgeliefert waren. Hier sollte Hypnose nur mit großer Vorsicht eingeführt werden.
3.3.2. Diagnose: Außer einer gründlichen Differentialdiagnose ist die therapiebegleitende Diagnose von großer Bedeutung. Es müssen sowohl therapierelevante als auch hypnoserelevante Informationen eingeholt werden, wie z.B. der Umgang mit vorgegebenen oder selbst erzeugten Imaginationen.
3.3.3. Art und Umfang der Behandlung: Da bei Klihyp häufig plötzliche Symptombeseitigung auftritt, sieht man sie fälschlicherweise primär als eine Kurztherapie an. Stets braucht der Klient jedoch viel Zeit, um seine notwendige Arbeit an Um- und Neustrukturierung zu leisten. Werden Nahziele wie Beseitigung oder Erleichterung einer Symptomatik vereinbart, erstreckt sich die Behandlung über 10 bis 40 Stunden. Beziehen sich Umstruktrierungsprozesse auf wesentliche Teile der Persönlichkeit, dauert sie allerdings weitaus länger. Eine wesentliche Regel besagt, dass der Therapeut stets den Überblick darüber behalten muss, welche Trancephänomene er bewirkte und dass er ihre Aufhebung am Ende der Sitzung kontrolliert (mit Ausnahme gewisser therapeutisch wirksamer posthypnotischer Aufträge).
3.3.4. Ziel der Klihyp nach Milton H. Erickson ist es, im Unterschied zur Klassischen Hypnose (in der die unerwünschte Symptomatik sehr direktiv zu beeinflussen versucht wird), das konstruktive Zusammenspiel zwischen Bewusstsein und Unbewusstem zu fördern, um neue Problemlösungen und Verhaltensänderungen möglich zu machen.
3.3.5. Methoden: Klihyp darf nicht als Ansammlung von Kunstgriffen und Kommunikationstechniken missverstanden werden. Kernstück ist das Utilisationsprinzip, das besagt, dass jeder Klient ganzheitlich gesehen und in seiner individuellen Eigenart respektiert und angenommen werden muss. Das bedeutet für die Methoden, dass sie vom jeweiligen Klienten, der gegebenen Situation und den individuellen Fähigkeiten des Therapeuten abhängig sind. Beim hypnotherapeutischen Handeln ist zwischen übergreifenden therapeutischen Strategien und einzelnen Techniken im Mikrobereich der therapeutischen Kommunikation zu unterscheiden. Nicht die Störung als solche, sondern der Klient, der seine Symptome auf seine ganz persönliche Art "präsentiert", steht im Mittelpunkt des Interesses. Die meisten von Erickson entwickelten Techniken können als indirekte Formen der Suggestion verstanden werden (und sind auch für nicht hypnotherapeutisch arbeitende Kollegen sicher von Interesse), die nur im Zusammenspiel mit dem Utilisationsprinzip gesehen werden können (d.h. Nutzbarmachen all dessen, was der Klient einbringt).
3.3.6. Erfolgskontrolle s. 3.1.6.
4. Freier Bericht über die Erfahrungen mit Beratung und Psychotherapie und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Tätigkeit
4.1. Die Individualpsychologie
Mein Einstieg in das Feld der IP nach Alfred Adler begann während meiner Gesamtschulzeit, als ich auf der Suche nach psychologischen Erklärungsmustern und pädagogischen Hilfestellungen für die vielfältigen neuen Situationen war, die mich einerseits noch stärker zur Auseinandersetzung mit meinen Schülern motivierten als in den Jahren am Gymnasium, in denen ich mich andrerseits aber auch häufig recht hilflos fühlte (s. Erfahrungsbericht, Link unter: Schule). Noch aus der Referendarausbildung hatte ich im Gedächtnis, dass die Tiefenpsy-chologie, zu der die IP gehört, der Pädagogischen Psychologie wichtige Anstöße zur Erklä-rung auffälligen Verhaltens gegeben hat. Darüber hinaus war sie vor allem in der Zeit nach dem 1.Weltkrieg Anlass für bedeutende institutionelle Reformen gewesen. So hatte Adler im damals "roten Wien" großen Anteil an der Einrichtung von Erziehungsberatungsstellen und an der Reform der Heimerziehung. Diese wenigen Informationen reichten mir zunächst aus, um meine Neugier auf eine eventuelle IP-Weiterbildung zu aktivieren. Ich nahm an, dass mir maßgeblich auch solche Inhalte vermittelt würden, die meinen sachgemäßeren Umgang mit Schülern im Unterricht (einschließlich Elternarbeit) und in der Beratung fördern würden und begann mich nach Informationen über diesbezügliche Möglichkeiten umzusehen.
Das erste Seminar, in dem ich die IP in Theorie und Praxis kennenlernte und das mir Einblikke in die individualpsychologische Arbeit mit Träumen verlieh, leitete die damals 75jährige Klinische Psychologin Prof. Dr. L. Ackerknecht (gebürtige Berlinerin). Sie wurde vom Adler-Mitarbeiter Dr. Alexander Müller in der Schweiz individualpsychologisch ausgebildet, leitete ein international anerkanntes Aus- und Weiterbildungsinstitut in Berkeley und lehrte (bis kurz vor ihrem Tod) in den USA und Europa. In Deutschland bildete sie, parallel mit Dreikurs, ab 1967 (auf Bitten des Gestaltpsychologen W. Metzger) die erste Generation von Individualpsychologen nach dem Krieg aus. Ich merkte schnell, dass die von ihr sehr eindrücklich vermittelte und vorgelebte Weiterentwicklung Adlerianischer Ideen, die auch den Blick über Schulgrenzen hinaus erlaubt, mir viel - nicht nur für meine Arbeit mit den Schülern - zu entdecken geben würde. Sie bestärkte mich in meiner Absicht, eine berufsbegleitende Weiterbildung in Hannover zu beginnen. Die Leitung hatte ein von ihr ausgebildeter Lehranalytiker. Wir Ausbildungskandidaten besuchten aber auch Seminare bei Frau Ackerknecht in Südfrankreich. Für mich verkörpert sie die praktische und erlebbare IP, wie wir sie aus keinem Buch lernen können.
Z.T. parallel, z.T. im Anschluss an meine Therapieausbildung, erwarb ich die Qualifikation des Counselors bei Frau Ackerknecht, vor allem, weil ich die familien- oder gruppentherapeutischen Verfahren, die Frau Ackerknecht in ihre teleoanalytische Arbeit einbezog, noch näher kennenlernen wollte. Die sog. Familientherapie entstand als Erweiterung oder Spezialisierung tiefenpsychologisch/psychoanalytischer und lerntheoretischer Ansätze zur Eltern-Kind-Therapie oder Erziehungsberatung einerseits[1], sowie zum anderen aufgrund der amerikanischen Schizophrenie- und Kommunikationsforschung. Die amalgierten familientherapeutischen Ansätze der 90er Jahre zeigen nach 20 Jahren der Gegenprofilierung deutliche Annäherungstendenzen. Die modernen Familientherapeuten sind meist in mehreren Individualverfahren ausgebildet. Mir erschien und erscheint die Forderung nach einer methodischen Orientierung im Austausch auf dem Hintergrund einer allgemeinen Psychotherapiewissenschaft sinnvoll. Die psychotherapeutischen Schulen müssen, um nicht zu stagnieren, da, wo es theoretisch und praktisch vereinbar ist, integrativer werden, da keine von ihnen alle psychischen Probleme zu lösen in der Lage ist.[nbspFrau Ackerknecht wies bei unserer Ausbildung immer darauf hin, daß eine konstruktive thera-peutische Arbeit mit mehreren Menschen große Ansprüche an die Qualifikation und die per-sönlich-ethische Kompetenz des Beraters oder Therapeuten stellt, da Quantität allein noch keinen therapeutischen Faktor darstellt. Ein spezifisches therapeutischen Ziel ihrer adlerianischen Familientherapie war, dem einzelnen Individuum zu helfen, zu einem Miteinander zurückzufinden, indem sie das strikte Interaktionsmodell immer auch zugunsten des Eingehens auf individuelle Lebensstile und -ziele unterbrach. Dabei verwendete sie neben analytischen häufig strategische, speziell paradoxe Techniken (von Adler bereits früh, von Frankl etwas später beschrieben, inzwischen schulenübergreifend weiterentwickelt).
So sehr mich die Arbeit in Großgruppen beeindruckte und auch in ihrer Wirkung überzeugte, stelle ich für mich fest, daß ich sie in meiner beruflichen Tätigkeit als Berater oder Psychotherapeut noch nicht gezielt genutzt habe. Dabei wären Anlässe hierfür vor allem im Bereich der Schule sicher vorhanden oder zumindest anzuregen. Ich erkläre mir mein Verhalten diesbezüglich damit, dass ich als Ausgleich zu meiner Studienratstätigkeit, in der ich immer mit größeren Gruppen zu tun habe, zunächst die konzentrierte und intensive Beschäftigung mit dem Individuum bevorzuge. Kleingruppen (mehrere Erzieher) habe ich allerdings bereits mit Freude supervidiert und kann mir gut vorstellen, dass in Zukunft mein Einsatz in dieser Richtung stärker an Gewicht gewinnen könnte. Vielleicht fehlt mir auch augenblicklich einfach noch der Mut und ein Teil der Sicherheit, die erforderlich sind, eine solche verantwortungsvolle Großgruppenarbeit anzugehen.
Drei der wichtigsten Hinweise für familien- und gruppentherapeutische Arbeit, die ich in der Ausbildung erfuhr, waren für mich:
- Analysiere das Individuum und seine Funktion im sozialen Beziehungsgefüge
- Füge weder der Familie als System noch einem ihrer Mitglieder durch Intervention oder Non-Intervention Schaden zu
- Rate extrem über-, unter- und symptombelasteten Mitgliedern (zunächst) zu einer Individualtherapie
4.2. Die Klinische Hypnosetherapie nach Milton H. Erickson (Klihyp)
Auf Erickson wurde ich durch Bücher von Paul Watzlawick aufmerksam. Ich erfuhr, dass auch in Deutschland seit 1975 spezialisierende Zusatzausbildungen für Klihyp nach Milton H. Erickson angeboten wurden und entschied mich nach Abschluss der IP-Ausbildung (was Voraussetzung war) für diese Fortbildung. Den letzten Anstoß erhielt ich durch die Teilnahme am 1. Europäischen Kongress für Hypnose und Psychotherapie nach Milton H. Erickson 1989 in Heidelberg, weil ich hier erlebte, wie einfühlsam und kreativ Therapeuten sehr unterschiedli-cher Schulen mit Trancephänomenen arbeiten können. Auch danach in der Fortbildung lernte ich Trance als aktives, unbewusstes Lernen, befreit von den üblichen Beschränkungen des rationalen Denkens und Hypnose als subtilen Kommunikationsprozess kennen. Ähnliche positive Erfahrungen hatte ich mit meinen Schülern beim Kreativen Schreiben bereits gemacht, wo ich auch eine Art veränderten Bewusstseinszustand an ihnen und mir in der Aktivität feststellen konnte (was nicht erstaunlich ist, da wir alle täglich Alltagstranceerfahrungen machen, meist allerdings ohne sie kreativ zu nutzen) .
Reizvoll war, dass unsere Ausbilder jeweils aus verschiedenen therapeutischen Arbeitsbereichen kamen, was das Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten für uns deutlich machte und jeder einzelne von uns unter Anleitung ausprobieren konnte, welche eigenen Fähigkeiten im Umgang mit Klienten uns besonders angemessen schienen. Die Supervision fand regelmäßig bei einem Hypnotherapeuten statt.
Formal bestand die Fortbildung aus 8 aufeinander aufbauenden Grundkursen, mindestens 4 Aufbaukursen, die man nach eigenem Interesse zur Spezialisierung auswählen konnte und mindestens 10 Supervisionsterminen. Die Ausbildungsinhalte wurden in Seminaren durch Demonstration, einübende Praxis, Selbsterfahrung und Theorie vermittelt und umfassten folgende Themen:
1. Prinzipien Ericksonscher Gesprächsführung, seine theoretischen Grundanschauungen und anthropologischen Prämissen
2. Herstellen von Rapport - Verbale und nonverbale Kommunikation, Pacing (Weltbild des Klienten als Ausgangspunkt und Hebel der Therapie) und Leading bzw. Inviting, unbewusste und bewusste Beeinflussung körperlicher und psychischer Vorgänge
3. Indirekte Kommunikation: Einstreutechniken, therapeutische Doppelbindungen, Techniken des Ankerns, Umgang mit Widerstand, einfache Tranceinduktionen
4. Trancevertiefungstechniken I: Förderung und Nutzbarmachung hypnotischer Phänomene wie Entspannung, Armlevitation, ideomotorisches Signalisieren, Katalepsie
5. Trancevertiefungstechniken II: Analgesie, Dissoziation, Zeitverzerrung, Regression, post-hypnotische Suggestionen, hypnotische Träume, Amnesie
6. Therapeutischer Einsatz von Anekdoten, Märchen und Metaphern, Reframing, Verwendung von Symbolen, strategische Interventionen, paradoxe Verschreibungen
Die von mir ausgewählten Aufbaukurse umfassten folgende Themen:
1. Systemische Direktinterventionen (bei Watzlawick)
2. Die Kristallkugeltechnik (bei de Shazer)
3. Provokative Therapie und spontane Tranceprozesse (bei Farelly)
4. Zweisprachige Doppelinduktionen und Heilungsprozesse (bei Özelzel)
5. Supervision in Trance (bei Stahl, der NLP-Trainer ist)
Diese Kurse fanden auf dem einwöchigen Kongress statt und beeindruckten mich auch aufgrund der unterschiedlichen therapeutischen Persönlichkeiten sehr.
Weitere Aufbaukurse waren:
6. Hypnotherapie mit Kindern I (aus der Sicht unterschiedlicher therapeutischer Schulen)
7. Hypnotherapie mit Kindern II (auf verhaltenstherapeutischer Basis)
8. Induktion hypnotherapeutischer Prozesse in Gruppen
Meine eigenen Schwerpunkte kristallisierten sich erst im Lauf der Zeit heraus: Ich stellte fest, dass mir bei der Arbeit mit Kindern die Methode, sie über Märchen oder Metaphern zu errei-chen, meist gut gelingt. In der Arbeit mit Erwachsenen konzentriere ich mich auf imaginative Verfahren bei leichter Trancetiefe.
4.3. Fallbeispiele aus der beraterischen und therapeutischen Arbeit
Seit 1990 berate ich Kinder, Jugendliche und Erwachsene (letztere einzeln, aber auch manch-mal Paare), seit 1994 führe ich Psychotherapien durch. Im Laufe der letzten Jahre habe ich in privater Praxis (immer nebenberuflich) etwa 40 Beratungen, Kurz-und Langzeittherapien mit sehr unterschiedlichen Störungsbildern und einer Frequenz von 1 bis 3 Sitzungen pro Woche entsprechend meinen Ausbildungen durchgeführt. Die kürzeste umfasste 5 Gespräche und dauerte 1 1/2 Monate, die längste knapp 3 Jahre. Es waren etwas mehr weibliche als männliche Klienten bei mir, deutlich mehr Erwachsene als Kinder und Jugendliche, wobei der jüngste Klient 5 Jahre, die älteste Klientin 62 Jahre alt war. Zunächst arbeitete ich entweder "rein" individualpsychologisch oder "rein" hypnotherapeutisch, während ich in den letzten 2 Jahren (zu meiner eigenen Freude) bemerke, dass ich beide Ausbildungen stärker kombiniere, wenn es mir für den Klienten angemessen erscheint. Überhaupt bin ich der Ansicht, dass gerade die ganzheitliche, zukunfts- und zielorientierte IP sich mit der ressourceorientierten, an der Einmaligkeit des Individuums ausgerichteten Klihyp nach Erickson, bestens verträgt.
5. Zusammenfassende Stellungnahme
Als ich 1988 mit der individualpsychologischen Ausbildung begann, hoffte ich zunächst hauptsächlich, Anregungen für einen besseren Unterricht und Umgang mit meinen Schülern zu erhalten. Meine eigene Zielsetzung erweiterte sich jedoch im Laufe der Auseinandersetzung mit der IP. Die Idee war nun, zusätzlich zur Unterrichtstätigkeit beraterisch und therapeutisch zu arbeiten. Kurz vor dem Abschluss der ersten IP-Ausbildung reizte es mich, ein weiteres Therapieverfahren kennenzulernen. Es sollte mich besser in die Lage versetzen, auf die emotionalen Bedürfnisse meiner Klienten mit kreativen Verfahren einzugehen und sie und mich dadurch leichter motivieren, Emotionen und Kognitionen in Einklang zu bringen, was ich als wesentlichen Schritt zur Gesundung von Menschen ansehe. Sicher stand dieser Wunsch auch im Zusammenhang mit den positiven Erfahrungen, die ich im Laufe meiner Arbeit an der Schule mit dem Darstellenden Spiel und dem Kreativen Schreiben gemacht hatte. Die Ausbildung bei der Milton-Erickson-Gesellschaft erwies sich für dieses Ziel als äußerst stimmig.
Beide Ausbildungen erweitern den Klienten und mir den Handlungsspielraum auf produktive Weise. 1996, nach (hoffentlich) abgeschlossenem Psychologiestudium, werde ich wieder (mit reduzierter Stundenzahl) als Studienrätin unterrichten. Nebenberuflich möchte ich weiterhin Therapien durchführen.
Mehrere berufliche Standbeine zu haben, erscheint mir immer sinnvoller, je älter ich werde. Ein Satz, den ich einmal während meiner IP-Ausbildung gehört habe und der mich sehr ermutigte, lautete: "Wir sind alle Kinder in einer alternden Haut". Er bedeutet für mich, dass ich immer wieder dazulernen darf und kann, dass ich nie perfekt sein werde und dass ich, wenn ich Fehler mache, wieder neu anfangen kann. Für mich ist das der beste Nährboden für meine Bereitschaft, neu zu lernen und das Gelernte weiterzuvermitteln.
[1] So geht Familienberatung in der Gruppensituation auf Adlers Erziehungsberatung im Wiener Schulsystem der 20er Jahre zurück. Lern- und verhaltensgestörte Kinder wurden in größeren Gremien von Eltern und Lehrern öffentlich von Adler und seinen Mitarbeitern vorgestellt und beraten. Das Tabu des diskreten Prozesses zwischen Therapeut und Klient wurde durchbrochen, da Adler der Überzeugung war, daß persönliche Probleme soziale Probleme sind und daher am besten im sozialen Feld gelöst werden.